Augustinus: Gnade

Heiligung

Glaube — Erkenntnis - Liebe

Unrecht wäre es, die Rechtfertigung auf Vergebung der Sünden einzuschränken. Gott rechtfertigt den Sünder nicht bloß dadurch, daß Er verzeiht, was dieser Böses getan, sondern auch, indem Er ihm Liebe mitteilt, damit Er das Böse meide und das Gute tue in der Kraft des Geistes, dessen stete Mitteilung der Apostel für die Seinen erflehte. Helle Wahrheit ist, dass Menschen «göttlich» werden, durch Seine Gnade vergöttlicht, wenn auch nicht aus Wesen und Geburt. Er gibt Heiligkeit, der aus sich selbst, und nicht von andern, heilig ist. Er gibt Göttlichkeit, der aus sich selbst, und nicht durch Teilnahme an einem andern, Gott ist. Der aber heilig macht, der macht auch göttlich: Er gibt Heiligkeit in göttlicher Natur; Er gibt «Macht, Kinder Gottes zu werden» (Joh 1,12); Er gibt – nicht meine Gerechtigkeit in mir, wohl aber Gottes Gerechtigkeit, d.i. Gerechtigkeit, die mir innerlich zu eigen ist, nicht aus mir selbst, sondern aus Gott. «Seht, welche Liebe uns Gott geschenkt hat, dass wir Kinder Gottes heissen und sind» (1 Joh 3,1).!

Anfang des guten Lebens, dem als Lohn das ewige Leben zukommt, ist gerader Glaube – der Glaube, der sich verlässt auf das, was noch nicht sichtbar – Glaube, dessen Lohn das Schauen ist – Glaube an Christus, «der den Sünder gerecht macht» (Röm 4,5) – Glaube an den Mittler, ohne dessen Einfluss wir nicht Versöhnung mit Gott erlangen können – Glaube an den Heiland, der gekommen ist, «zu suchen und selig zu machen, was verloren war» (Lk 19,10) – Glaube an den, der gesagt hat: «Ohne mich könnt ihr nichts tun I» (Joh 15,5).

An Gott glauben also heisst sich vertrauend an Ihn hingeben, der das Gute wirkt, um mit Ihm zusammenzuwirken im Guten. Im Glauben liegt der erste Aufschwung unseres Geistes über das Irdische, die Hinwendung zum wahren Gott.

Zu wahrer Religion kommt niemand, der nicht zunächst an etwas glaubt, was er nachher, wenn er durch rechte Lebensführung dessen würdig geworden, auch tiefer erfassen und verstehen wird. Ohne ehrfürchtigen Autoritätsgehorsam wird ihm der Zutritt gewiss nicht möglich sein.

Wir mögen wohl zugeben, dass Glaube und Leichtgläubigkeit verschiedene Dinge sind – anderseits wird man gewiss auch gestehen, dass Glaube in manchem angebracht ist. Wenn es um Erkenntnis Gottes durch Vernunft ginge, wer könnte sich vorstellen, es seien alle zum Erfassen der Vernunftgründe fähig, durch die der Menschengeist zur Erkenntnis Gottes kommen kann? So dürfen mindestens diese Vielen nicht im Stich gelassen sein. Wie könnte ein solcher je zum Ziel gelangen, ausser er glaube fürs erste, dass er dieses Ziel erreichen werde, und komme in demütig flehender Geisteshaltung und unterstelle sich jenen ernsten, notwendigen Forderungen, um so in der praktischen Lebenswirklichkeit sein Herz zu reinigen. Wie sollte er sonst zur Wahrheit gelangen können?

Und wie ist es in dieser Hinsicht mit jenen (Bevorzugten), zu denen du selbst, ich glaube es schon, gehörst? Werden sie vielleicht einen Schaden davon haben, wenn sie auf dem gleichen Wege kommen, sie, die durch sichere Vernunftüberlegung ohne Schwierigkeit das göttlich Verborgene fassen zu können glauben! Ich denke, auch wenn sie von ihrem Weg (der reinen Vernunft) keinen Schaden hätten, so würde ihr Beispiel den anderen schaden. Und brauchen die einen Ermutigung, die sich wenig zutrauen, so bedürfen die andern des Zügels, die zu hoch von sich denken, damit sie in ihrem Selbstvertrauen sich nicht vermessen. Schließlich sind ja auch solche, und wären sie noch so hohen Geistes, nur wie Gewürm am Boden, wenn Gott ihnen nicht aufhilft – und er hebt gewiss nur solche auf, die bei ihrem Gottsuchen sich um das gemeinsam Menschliche kümmern. Es gibt zum Himmlischen keinen verlässlicheren Pfad.

Ich jedenfalls kann mich dieser Überlegung nicht entziehen. Oder wie könnte ich meinen, man dürfe nichts ohne Vernunftbeweis glauben? Wenn z.B. in einer Freundschaft nicht etwas geglaubt würde, was einem strengen Beweis überhaupt nicht zugänglich ist, so gäbe es gar keine Freundschaft. Ich will bekennen, dass ich an Christus geglaubt und mich von der Wahrheit seiner Botschaft überzeugt habe, auch wo ich keinen Verstandesbeweis zur Begründung hatte. Denn ich habe den Herrn nicht in seiner leiblichen Erscheinung gesehen; ich habe auch jene, die ihn mit ihren irdischen Augen gesehen haben, wie sie bezeugen, nicht selbst gesehen. Indem ich diesen Zeugen Glauben schenke, glaube ich niemand anders als der bewährten Überzeugung ganzer Völker, welche die Glaubensgeheimnisse der katholischen Kirche sich angeeignet haben. Würdest du vielleicht mir besser bezeugen können, was er verkündet hat? Wer Christus nicht Glauben schenken will, er habe denn zuvor Vernunftgründe, über jeden Zweifel erhaben, erhalten, ist sicher kein Christ. Sehen wir doch, wie Christus nach dem Zeugnis der heiligen Geschichte vor allem dies nachdrücklich verlangte, dass man ihm Glauben entgegenbringe.

Dabei sehen wir, wie verschieden die einzelnen angesichts derselben Beweise oder Zeichen sich zum Glauben bewegen ließen. So glaubte z.B. Simeon an unseren Herrn, als er das kleine Kind in der Erleuchtung des Hl. Geistes erkannte. Nathanael gab auf den einen Satz, den er von ihm gehört, die Antwort: «Meister, du bist der Sohn Gottes, der König Israels!» Durch das Wunder in Kana in Galiläa, das der Evangelist Johannes als Anfang der Zeichen Jesu erwähnt, glaubten seine Jünger an ihn. Viele bewegte er durch sein Wort zum Glauben, während manche andere nicht glaubten, selbst als Tote sich aus dem Grabe erhoben. Über sein Kreuz und seinen Tod erschrocken, schwankten sogar die Jünger, und doch glaubte gerade da der Schächer, der ihn doch nicht im Glanze seines Wirkens gesehen hatte. Einer der Jünger glaubte nach seiner Auferstehung erst den frischen Narben, während viele von seinen Peinigern, die selbst den Wundertäter verachtet hatten, nachher seinen Jüngern glaubten, die ihn verkündeten und in seinem Namen Zeichen wirkten. Da also der eine so, der andere anders zum Glauben bewegt wird, wer möchte behaupten, Gott habe nicht verschiedene Weisen zu rufen?

So hat denn das Heilmittel für die Seele, das von Gottes Heilsplan und unaussprechlicher Güte vorgesehen ist, der Glaube, seine besondere Schönheit in Stufung und Unterscheidung: er verteilt sich auf Autorität und Einsichtsgrund. Die Autorität fordert den Glauben und bereitet den Menschen zur Ergründung; die Ergründung ihrerseits führt zur Einsicht und Erkenntnis. Zwar ist auch die Autorität nicht völlig ohne vernünftigen Grund gelassen, da man doch wägt, wem man glauben soll; und sicher wiegt besonders viel das moralische Gewicht der bereits erkannten und einsichtigen Wahrheit. Weil wir aber ins Zeitliche abgeglitten und in seiner Liebe vom Ewigen ferngehalten sind, so gibt es ein selber zeitliches Heilmittel (die sichtbare Autorität), das zum Heile ruft Menschen, die nicht wissen, sondern glauben – und dies ist zwar nicht der Natur nach, wohl aber der zeitlichen Ordnung nach das erste.

Es gibt Dinge, die wir erst erkennen, um zu glauben, und es gibt solche, die wir nur unter Voraussetzung des Glaubens zu erkennen vermögen. Der Fortschritt unseres Erkennens besteht im Glauben an das, was wir erkennen.

Fern also sei es, dass Gott in uns die Gabe hasse, in der wir durch seine Erschaffung den übrigen Lebewesen überlegen sind – ferne sei es, dass wir bloß glauben, ohne uns um Vernunft zu kümmern und sie zu suchen. Wir könnten ja nicht einmal glauben, wenn wir nicht eine vernünftige Seele hätten. So ist es durchaus vernunftgemäß, dass wir in gewissen Dingen, die zur Heilslehre gehören – in Dingen, die wir mit der Erkenntnis noch nicht fassen können, aber einmal fassen werden – den Glauben der Erkenntnis vorausgehen lassen. Das dient zur Reinigung des innern Menschen, damit wir so das große Licht der Erkenntnis fassen und ertragen lernen. Darum heisst es treffend bei dem Propheten: «Wenn ihr nicht glaubt, so werdet ihr nicht erkennen» (Is 7,9). Da hat er zweifellos einen Unterschied zwischen beiden gemacht und gemahnt, zunächst einmal zu glauben, um dann das Geglaubte auch erkennen zu können, der eine mehr, der andere weniger nach seinem Vermögen – unter der einen Voraussetzung, dass man vom Pfad des Glaubens nicht weiche, bis man zur Fülle und Vollendung der Erkenntnis gekommen ist. Unterdessen gilt: «Was wir schon erreicht haben, darin lasst uns beharren !» (Phil 3,16).

Nicht also durch Schlussfolgerung, sondern durch göttliche Autorität macht uns der Glaube der Seligkeit gewiss.

Kein geringes Stück des Wissens ist es, sich dem Wissenden zu einen. Er hat Augen der Erkenntnis – habe du gelehrigen Glauben! Was Gott sieht, glaube du!

Nichts in der menschlichen Gesellschaft bliebe unversehrt, wenn der Grundsatz gelten sollte, nur das selbständig Erfasste sei zu glauben. Vollends der göttlichen Autorität gegenüber muss der beschränkte Menschengeist zurücktreten.

Das Wissen, das der Liebe dient, ist wertvoll – für sich allein und ohne diese Beziehung ist es überflüssig und selbst gefährlich. Wenn das Licht des Herzens in dir leuchtet, bist du fähig, die Wahrheit zu sehen.

Philosophen sagen, was sie meinen, nicht was sie wissen. Die Religion darf nicht in Phantasiebildern bestehen; besser ist eine auch noch so geringe Wirklichkeit als alles, was nur nach unserem Ermessen von uns ausgedacht ist ; besser ein wirklicher Strohhalm als ein aus willkürlichen Einbildungen hervorblitzender Lichtschein.

Nur der Offenbarungsglaube führt uns, erhaben über alle Ungewissheit, in dieser «Pilgerschaft» des Lebens, die uns noch «ferne» hält «vom Herrn» (2 Kor 5,6).

Verstehen ist der Lohn des Glaubens. Suche daher nicht zu verstehen, um zu glauben, sondern glaube, um zu verstehen! Freilich, wer nicht nach persönlicher religiöser Einsicht strebt, weiss gar nicht, wozu der Glaube uns frommen soll. Denn rechter Glaube ist nicht ohne Hoffen und Lieben – des Gläubigen Hoffen und Lieben aber hat zum Ziel das Schauen.
Darum soll der gläubige Mensch durch Gebet und Forschen – in Verbindung mit sittlichem Leben – danach streben einzusehen, d. h. auch in persönlichem Denken sich anzueignen, was er im Glauben hingenommen hat. Es wird nicht geliebt, was man nicht erkennt; wenn man aber liebt, was man zu irgend einem Teil begreift, so wirkt Liebe, dass man es besser und vollkommener begreift.

Jede Stufe der Entwicklung von der Kindheit bis zum Greisenalter hat ihre eigene Schönheit. Töricht wäre es, dem Menschen, der doch dem Gesetz der Zeit gehorcht, nur Kindheit zu wünschen und alle andere Schönheit zu missachten, die den übrigen Lebensstufen eignet. Nicht minder wäre ein Tor, wer dem menschlichen Geschlecht als Ganzes das Beharren auf einer bestimmten Stufe wünscht. Denn auch die Menschheit wie der einzelne durchlebt verschiedene Alter: das ganze Leben der Menschheit von Adam bis zum Ende ist gleich dem Leben eines Menschen.

Möchte eure Kindheit Unschuld sein, euer Knabenalter Ehrfurcht, euer Jünglingsalter Ausdauer, eure Männlichkeit Kraft, euer Alter Verdienst, eure Greisenzeit ergraute, weise Einsicht! Nicht zugleich kommen diese Stufen, aber einmal gekommen bleiben sie in einem frommen, edlen Menschen als ein Ganzes zusammen und bilden die Überleitung zur letzten Stufe: zur immerwährenden Ruhe, zum ewigen Frieden.

So möge Gott in dir wachsen, der immer vollkommen ist! Er sättigt uns in unserem Suchen, soweit wir Ihn fassen; Er weitet unsere Fassungskraft im Finden, auf dass wir Fassens Fülle suchen, da wir zu fassen angefangen! Sein Zögern ist Dehnen der Sehnsucht, dass sehnend die Seele sich strecke und weite, mehr zu fassen. Je mehr du Gott erkennst und je mehr du Ihn fassest, um so mehr wächst Er in dir – so scheint es: denn in Wirklichkeit wächst nicht Er, der immer vollkommen ist; aber du fasstest gestern ein wenig und fassest heute mehr, und morgen wird es noch mehr sein -: siehe, Licht Gottes wächst in dir, und damit wächst gewissermaßen Gott, der immer vollkommen bleibt. So ist es mit dem inneren Menschen: er wächst in Gott, und Gott scheint in ihm zu wachsen, und doch nimmt er zugleich ab und welket eigener Ehre, um aufzublühen in Gottes Herrlichkeit.

Glaube und gutes Leben ist Gottes Werk in uns; denn Er ist es, der unser Wollen wirkt – es ist freilich auch unser Werk; denn Gott wirkt es in solchen, die wollen.

«Niemand kommt zu mir, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht» (Joh 6,44).

Diese Gewalt geschieht dem Herzen, nicht dem Fleische. Halte es nicht für rauhe, lästige Gewalt! Süß ist sie und sanft: die Süßigkeit selbst zieht dich. Wird nicht das Lamm gezogen, wenn es hungert und man zeigt ihm das Kraut? So komme auch du zu Christus: denke nicht lange über Wege zu Ihm – glaube, und du kommst! Liebe, und du wirst gezogen! Liebend, nicht durch Räume fahrend, gelangt man – zum Allgegenwärtigen.
O Mensch, hange Gott an, der dich zum Menschen machte!
Ihm schließ dich an, an Ihn glaube! Ihn rufe an, Er sei deine Stärke! – Selig, die glauben! Seliger war Maria, da sie den Glauben an Christus empfing, als da sie Christus dem Fleische nach empfing. Untrennbar ist ein gutes Leben von dem Glauben, der durch die Liebe tätig ist – er ist selbst das gute Leben.
Der Glaube ist es, der durch das Gebet erlangt, was das Gesetz fordert. Durch den Glauben wird die Schuld der Übertretung gelöst, die aus dem Gesetze stammt; durch die Kraft des Glaubens erlangt man den Heiligen Geist, durch den «die Liebe ausgegossen ist in unsere Herzen» (Röm 5,5), dass das Gesetz nicht mehr aus Furcht vor Strafe erfüllt wird, sondern aus Liebe zum Guten. Um des Glaubens willen ist «das Himmelreich in euch» (Lk 17,21).

Es gibt ein Wort, in dem alles enthalten: «Der Glaube, der durch die Liebe tätig ist» (Gal 5, 6)

Hier müssen wir einen Irrtum ins Auge fassen, der aus religiösen Herzen verbannt sein muss, wollen sie nicht durch falsche Sicherheit ihr Heil aufs Spiel setzen: ich meine jene, die den Glauben allein als für das Heil genügend betrachten und ein gutes Leben und die Bewahrung der Wege Gottes durch gute Werke übergehen – als ob Menschen, die ein schändliches Sündenleben führen und darin verharren, sich Heil und ewiges Leben versprechen könnten, wenn sie nur an Christus glaubten und seine Gnadenmittel empfingen. Schon in der Apostelzeit wurden gewisse Aussprüche des Apostels Paulus von einigen missverstanden, die da sagten: «Lasst uns Böses tun, damit Gutes herauskomme!» (Röm 3,8). Wenn aber der Apostel sagt: «Der Mensch wird gerechtfertigt durch den Glauben, ohne die Werke des Gesetzes» (Gal 2,10), so ist seine Absicht nicht, dass man im Besitz und Bekenntnis des Glaubens die Werke der Gerechtigkeit verachte, sondern er will sagen, dass man durch Glauben gerechtfertigt werden könne, auch ohne dass die Werke des Gesetzes vorausgegangen sind. Denn die heilsgemäßen Werke folgen der Rechtfertigung und gehen ihr nicht voraus. Nicht jeden beliebigen Glauben erkennt Sankt Paulus als heilbringend und dem Evangelium gemäß, sondern nur den, dessen Werke hervorgehen aus der Liebe. Er spricht vom «Glauben, der durch die Liebe tätig ist». So wenig nützt nach ihm der Glaube, der gewissen zum Heil zu genügen scheint, dass er den Ausspruch tut: «Wenn ich einen Glauben hätte, der Berge versetzte, aber die Liebe nicht, so bin ich nichts» (1 Kor 13, 2).
Weil dieser Wahn schon damals entstanden war, so wenden sich auch andere Apostel: Petrus, Jakobus, Johannes, Judas in ihren Briefen vornehmlich gegen eine solche Auffassung und erklären nachdrücklich, dass der Glaube ohne die Werke nichts nütze. Geistiges Licht und Verstehen finden nicht Eingang in unreinen Herzen.

Keiner gebe sich also der trügerischen Hoffnung hin, mit Glauben ohne Werke zum Leben zu gelangen, etwa weil der Herr gesagt habe: «Das ist das ewige Leben, dass sie erkennen Dich, den allein wahren Gott, und Jesus Christus, den Du gesandt hast» (Joh 17, 3). Man muss auch andere Schriftstellen vor Augen haben: «Daran erkennen wir Ihn, wenn wir Seine Gebote halten» (1 Joh 2, 3). Die Schrift erwähnt zuweilen eines ohne das andere, das eine Mal dies, das andere Mal jenes, um so zu verstehen zu geben, dass das eine nicht für sich allein bestehen kann ohne das andere. Wer an Gott glaubt, muss tun, was Er gebietet – und wer es tun will, weil Gott es will, muss glauben.
Einst werden wir vor Gottes Richterstuhl erscheinen – mögen dann unsere Werke für uns zeugen, und so zeugen, dass sie unsere Sünden übertönen!

Der Glaube also gilt, «der durch die Liebe tätig ist». Um seinetwillen haben alle Väter, haben Patriarchen, Propheten, Apostel Gott gefallen. Siehe Abraham: Groß wie sein Glaube war seine Hingabe. Er glaubte, dass Isaak geboren werde – er weinte nicht, dass Isaak sterben müsse. Dessen Hand wird erwählt für das Opfer in den Tod, dessen Herz erwählt war für den Glauben an das Leben. Er zitterte nicht zu glauben, als ihm die Verheißung ward – er zitterte nicht zu opfern, da ihm die Forderung entgegentrat. Es widersprachen sich nicht die Hingabe des Glaubens und die Hingabe des Gehorsams.

Etwas Großes ist der Glaube – aber er nützt nichts, wenn er nicht die Liebe einschließt; oder vielmehr: «Wenn ich alle Geheimnisse wüsste und Gabe der Weissagung und allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzte», ohne die Liebe (sagt er) ist «nichts» – nicht zwar der Glaube, wohl aber «ich». Sage also nicht: Ich habe den Glauben, das genügt mir! Was sagt Jakobus? «Auch die Teufel glauben und zittern» (Jak 2,19).
Die Teufel glauben, lieben aber nicht; niemand aber liebt, der nicht glaubt.“

In gewissem Sinn wohl kann man sagen, dass Gott «nur den Glauben» wolle – wenn man nämlich nicht den toten, sondern den lebendigen Glauben meint, der durch die Liebe wirksam ist. Das hat freilich Wert: mit rechtem Glauben an Gott glauben, ihn verehren und erkennen, um von Ihm Hilfe zu einem guten Leben und Verzeihung für die Sünden zu erlangen.
Der Glaube an Christus also, der Glaube an Seine Gnade, der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist – der ist es, der, als Grund gelegt, niemand verloren gehen lässt.

Die Liebe aber nannte der Apostel gegenüber den zweien, d.i. Glaube und Hoffnung, das Größere (1 Kor 13,13). Je größer die Liebe in einem Menschen, um so besser ist er. Wenn man fragt, ob einer ein guter Mensch sei, fragt man ja nicht, was er glaubt oder hofft, sondern was er liebt. Auch nicht davon hängt das sittliche Wesen eines Menschen ab, was einer weiss, sondern davon, was er liebt. Wer rechte Liebe hat, hat gewiss rechten Glauben und rechte Hoffnung; wer aber nicht liebt, glaubt vergebens, wenn auch wahr ist, was er glaubt. Kein rechtes Leben ohne rechte Liebe.

Nur die Liebe bildet die Scheidelinie zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels. Mögen sich alle mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnen, mögen alle das Amen sprechen und das Alleluja singen, mögen alle getauft sein, Kirchen besuchen, Kirchen bauen – durch nichts unterscheiden sich die Kinder Gottes von den Kindern des Teufels als allein durch die Liebe. Je mehr du wächst in der Liebe, um so mehr wächst deine Schönheit. Denn die Schönheit der Seele ist die Liebe.
In der Liebe haben alle Martyrer bis aufs Blut gestritten gegen den Teufel; da die Liebe in ihnen nicht erlosch noch erkaltete, darum standen sie fest. In der Liebe schreiten täglich vorwärts die Gläubigen, voll Verlangen nach dem Himmelreich. Die lieben, werden, weil sie lieben, auserwählt.

Liebe – ein köstlich Wort – ein köstliches Tun! Nicht zu jeder Stunde sollen wir von ihr sprechen, aber zu jeder Stunde sie im Herzen haben.

Aber was ist Liebe anders als Wille? Rechter Wille – rechte Liebe. Verkehrter Wille – schlechte Liebe. Guter Wille – Liebe Gottes.

Liebe ist eine Art innerer Offenbarung Gottes, die der gottesferne Mensch ganz und gar nicht kennt. Wo nicht Gottesliebe, da herrscht die Begierde. Wo aber die Liebe ist, da nimmt der Vater und der Sohn seine Wohnung: «Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen.» Denn wenn auch Gott nach Seinem Wesen überall zugegen ist, durch die Gnade Seiner Einwohnung ist Er nicht überall.

«Wir werden kommen …., auf dass sie eins seien, wie auch wir eins sind» (Joh 17,11). Der Vater ist so im Sohne und der Sohn so im Vater, dass sie eins, weil einer Natur sind. Wir aber können wohl in ihnen sein, doch eins mit ihnen können wir nicht sein, weil wir nicht einer Natur mit ihnen sind. So sind sie in uns und wir in ihnen, dass sie eins sind in ihrer Natur und wir eins in der unsrigen: Gott in uns als in Seinem Tempel, wir in Ihm als in unserem Schöpfer.

Dass wir Gott «gleichförmig» werden (Röm 8,29), das geschieht durch die Liebe. Nicht mit leiblichen Schritten kommen wir Gott nahe, sondern durch die Liebe, und um so mehr werden wir seine Gegenwart genießen, je reiner die Liebe, die wir zu Ihm haben und mit der wir nach Ihm streben.

Anfangende Liebe ist anfangende Heiligkeit, wachsende Liebe ist wachsende Heiligkeit, große Liebe ist große Heiligkeit, vollendete Liebe ist vollendete Heiligkeit – Liebe aus reinem Herzen, aus gutem Gewissen, aus ungeheucheltem Glauben.
«Die Frucht des Geistes ist die Liebe» (Gal 5,22) und durch die Liebe alles andere, was aus der gleichen Wurzel sprießt: «Freude, Friede, Langmut, Wohlwollen, Güte, gläubiger Sinn, Sanftmut, Enthaltsamkeit» (ebenda). «Freude» – wer freut sich gut, wenn er das Gute nicht liebt, worüber er sich freut? «Friede» – wer kann wahrhaft Frieden haben, außer indem er wahrhaft liebt? «Langmut» – wer ist langmütig und im Guten stetig, wenn er nicht von Liebe glüht? «Wohlwollen» – wer ist wohlwollend, außer er liebt den, dem er zu Hilfe kommt? «Güte» – wer ist gut, außer er wird es durch Liebe? «Gläubiger Sinn» – wer hat heilbringenden Glauben, wenn nicht der Glaube durch die Liebe wirksam ist? «Sanftmut» – wessen Sanftmut frommt, ist nicht die Liebe Leiterin? «Enthaltsamkeit» – wer enthält sich vom Gemeinen, außer er liebt das Edle? Mit gutem Grund also mahnt der gute Meister so oft zur Liebe. Sie ist das eine Gebot.

Denn über alle Weite und Breite der Gottesweisheit verfügt sicher die Liebe, mit der wir Gott und den Nächsten lieben. So lehrt uns der himmlische Meister. Hast du also nicht Muße, alle heiligen Blätter zu durchforschen, alle Hüllen der Reden zu entfalten und einzudringen in alle Geheimnisse der Schrift: habe die Liebe, an der alles hängt, so hast du in einem, was du gelernt hast oder noch lernen könntest. Habe die Liebe, und dich überströmt Erkenntnis-Fülle! Wie könnte Unwissen sein in dem, der die Liebe weiss, da «Gott die Liebe» ist? (1Joh 4, 8).

Die Menschen sind geneigt, das Sittliche nach Gewohnheitsregeln zu beurteilen. Daher kommt es oft, dass jeder nur das für böse hält, was die Menschen seines Landes und seiner Zeit zu tadeln und zu verdammen pflegen, und auch umgekehrt nur das für recht und lobenswert ansieht, was die Gewohnheit der Umgebung zulässt. Die Heilige Schrift aber schreibt nur eines vor: die Liebe (wie sie nichts anderes verurteilt als die Selbstsucht). Dadurch ist sie die Erzieherin der Menschen.
Gut leben heisst also nichts anderes als «aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus ganzem Gemüte lieben» (Mt 22,37). All unsere «guten Werke» sind ein Werk: der Liebe. Ein Werk ist es, in dem alle sind: «der Glaube, der durch die Liebe tätig ist». Liebe ist unsere Wurzel, und unsere Werke sind die Frucht. Wenn aus der Liebe sproßt dein Wirken – sieh, du wurzelst in der Lebendigen Land! Denn wie der äußere Mensch Nahrung und Wurzel hat in dieser sichtbaren Erde, so der innere Mensch in jener unsichtbaren.

«Tugend» aber ist nichts anderes als die rechte Ordnung, das rechte Maß der Liebe; darum singt auch die Braut im Hohenliede (2,4): «Ordne in mir die Liebe!» Die einzelnen Tugenden aber sind nichts anderes als verschiedene Stimmungen der einen Liebe: Liebe kann man «Klugheit» heissen, weil es höchste Klugheit ist, sich jenem Gute hinzugeben, das nicht verloren geht; man kann sie «Starkmut» nennen, weil man sich mit aller Kraft an dieses Gut anklammert und von ihm sich nicht losreissen lässt; man kann sie «Mäßigkeit» nennen, weil man durch alle Gewalt, die man sich antut, das eine Gut sucht, das alle Irrung ausschließt; man kann sie schließlich «Gerechtigkeit» nennen, weil es höchste Gerechtigkeit ist, jenem Gute anzuhangen, dem man von Rechts wegen angehören muss. Alles also ist eine Tugend – Tugend und zugleich Lohn der Tugend -, was eine liebende Seele in der Schrift mit den Worten ausdrückt: «Mir ist es gut, Gott anzuhangen» (Ps 72,28). Nichts überhaupt möchte ich «Tugend» nennen als die hehre Gottesliebe. Denn alle übrigen Gottesgaben, wenn auch noch so groß, sind umsonst ohne die Liebe.
Wo die Liebe fehlt, da wird kein gutes Werk angerechnet und ist überhaupt kein wahrhaft «gutes Werk». Wo aber die Liebe ist, da kann sie nicht allein sein. Liebe ist es, die alles besiegt, ohne die alles nichts gilt, und die – wo immer sie sein mag – alles an sich zieht.’”

All das wirkt in uns die «Gnade Gottes durch Jesus Christus unseren Herrn», nicht durch äußere Lehre, heilige Zeichen und Beispiele, sondern durch den Heiligen Geist, durch den heimlich «in unser Herz ergossen ist die Liebe» (Röm 5,5), die da «fleht mit unaussprechlichen Seufzern» (Röm 8,26). Fürwahr, ein großes Gottesgeschenk ist die Liebe. Er hat gewirkt, dass Er geliebt wird; Er liebte, ehe Er geliebt wurde – wie könnten mir lieben, würden wir nicht zuvor geliebt sein? Darum liebte Er uns, bevor wir liebenswürdig waren, damit etwas in uns sei, wodurch wir Ihm gefallen könnten. Unsere Liebe hat Gott gewirkt, und «Er sah, dass alles gut war» (Gen 1,4).

Liebe – welcher Art sie auch sei – hat stets eine lebenschaffende Kraft. Nie kann sie leer und müßig sein in dem, der liebt: immer muss sie treiben und führen. Was hart ist in den Geboten, macht leicht die Liebe: «Mein Joch ist süß, meine Bürde ist leicht,» spricht Jesus (Mt 11,30). Wer weiss nicht, wie Gewaltiges Liebe vermag – und oft noch die verderbliche, sündige Liebe? Wie viel Hartes haben Menschen ausgestanden, wie viel Unwürdiges, Unerträgliches ertragen, um zum Ziel ihrer Liebe zu gelangen! Mag einer auf Geld aus sein, wie der Geldgeizige, auf Ehre, wie der Ehrgeizige, auf die leibliche Schönheit, wie der Sinnliche – wer könnte alle Abarten der Liebe aufzählen? Aber was allen gemein ist, die da lieben: sie nehmen Mühen auf sich, ohne sie zu spüren; die Pein wird um so härter, wenn man sie hindert, sich zu mühen. Was seine Liebe ist, das ist der Mensch. Alles hängt daran, dass seine Liebe eine Liebe richtiger Wahl sei. Was Wunder, wenn ein Mensch, der Christus folgt aus Liebe, aus Liebe sich verleugnet? Wahrlich, wenn ein Mensch zugrunde geht, weil er sich selber liebt: er wird gerettet, indem er von sich ausgeht.

Alles Übermenschliche und Furchtbare macht leicht die Liebe – sie macht es fast zu nichts. «Es ist schwer» – das ist ein Wort, dessen sich die Liebe schämt. Liebe hat keine Mühe – oder sie liebt die Mühe. Wenn der Dichter sagt: «Jeden zieht seine Lust» (Vergil) – nicht die Notwendigkeit, sondern der Trieb, nicht der Zwang, sondern die Neigung -: um wie viel mehr müssen wir sagen, der werde zu Christus «gezogen», der seine Freude hat an Wahrheit, seine Freude an Gerechtigkeit, seine Freude an seligem, ewigem Leben – was alles Christus ist. Oder haben nur die Sinne ihre Befriedigung und der Geist bleibt ohne ihm entsprechende Lust? Wenn dem so wäre, warum heisst es dann: «Die Menschenkinder werden geborgen sein im Schatten Deiner Flügel, sie werden trunken vom Überfluss Deines Hauses, und mit Strömen der Wonne wirst Du sie trinken: denn bei Dir ist des Lebens Quelle, und in Deinem Lichte werden wir schauen das Licht!» (Ps 35,8 ff.).- Denke dir einen Liebenden: er versteht, was ich sage! Denke einen Hungernden, denke in der Wüste dieses Lebens einen Wanderer, dürstend und lechzend nach dem Quellbrunn ewigen Lebens, und du weisst, was ich meine. Rede ich allerdings zu einem Frostigen, der versteht mich nicht.

Fürchte also nicht, du werdest wider Willen gezogen: auch der Geist hat seine Liebe, die ihn zieht.

Liebe ist Stärke, Liebe ist Labung, Liebe ist köstliche Frucht, Liebe ist Schönheit, Liebe ist Wonne, Liebe ist Weide, Liebe ist Trank, Liebe ist Speise, Liebe ist Umarmung ohne Überdruss. Beseligt Liebe so den Pilger – von welcher Wonne wird Liebe überströmen im Vaterlande!

Das Glück besteht zweifellos im Besitz des geliebten Gutes, das wahrhaft liebenswert ist. Darum, meine Brüder, suchet die Liebe, das süße, heilsame Band der Geister, ohne die arm ist der Reiche, mit der reich ist der Arme! Liebe ist geduldig im Unglück, ist maßvoll im Glück, stark in hartem Leiden, in tüchtigem Schaffen fröhlich; sicher in Versuchung, großherzig in Gastlichkeit; unter wahren Brüdern überaus glücklich, unter falschen überaus geduldig; bei Abel der Duft im Opfer, bei Noe die Rettung aus der Flut, bei Abraham treu in vielen Wanderungen, bei Moses sanft in mancherlei Schmähung, bei David starkmütig in vieler Trübsal; keusch in Susanna, der Ehefrau, in Anna, der Witwe, in Maria, der Jungfrau; freimütig in Paulus zum Tadel, demütig in Petrus zu gefügiger Einsicht: menschlich in Christen zum Confiteor, göttlich in Christus zum Absolvo – doch was könnte ich Größeres und Erschöpfenderes sagen von der Liebe, als der Herr durch den Apostel zu ihrem Ruhme sagt, da er den Höhenweg der Liebe weist: «Wenn ich mit Zungen der Menschen und Engel redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Wenn ich die Gabe der Weissagung hätte und alle Geheimnisse und alle Wissenschaft kännte – und wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht – so wäre ich nichts… Alles erträgt sie, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles übersteht sie» (1 Kor 13,1- 8).
Wie groß also ist Liebe? Der Geist ist sie in den Buchstaben, die Kraft in der Weissagung, das Heil in den Sakramenten, der feste Grund im Wissen, die Frucht des Glaubens, der Reichtum der Armen, das Leben der Sterbenden. Unter Beschimpfungen gleichmütig, gütig unter Hass; unter Zornesausbrüchen ruhig, unschuldig inmitten von Fallstricken; unter Ungerechtigkeit seufzend, aufatmend in der Wahrheit. Was hat solche Kraft wie sie – nicht zu vergelten, sondern zu vergessen? Was hat solchen Glauben wie sie – nicht an die Torheit, sondern an die Wahrheit? Denn alles erträgt sie in diesem Leben, weil sie alles hofft vom kommenden. Sie duldet alles, was hier gegen sie verbrochen wird – weil sie alles hofft, was ihr drüben versprochen ist – und «sie hört nicht auf» (1 Kor 13, 8).

O Liebe, die du immer brennst – o Liebe, die du nie erlischst – o Gott, meine Liebe, entzünde mich!

Freiheit und Sittlichkeit im Neuen Bunde

Der Mensch kann wählen zwischen Gut und Bös: Hätte uns Gott kein freies Wahlvermögen verliehen, so gäbe es weder eine gerechte Strafe für das Böse noch ein Verdienst für die Tugend noch ein göttliches Gebot der sittlichen Erneuerung noch eine Vergebung der Sünden, die uns Gott durch Jesus Christus unseren Herrn geschenkt hat. Denn wer nicht mit Willen sündigt, sündigt überhaupt nicht – wie umgekehrt niemand gut handelt wider seinen Willen, mag auch, was er tut, gut sein.

Gott waltet so über Seinen Geschöpfen, dass Er sie auch eigene Bewegungen auslösen und vollziehen lässt.

Wollte man aber als «Freiheit» nur gelten lassen, dass der Mensch das Gute oder Böse wolle und vermöge – dann ist Gott nicht frei. Du musst einsehen, dass es auch eine «selige Notwendigkeit» gibt. Von ihr wird man nicht bedrückt, sondern man erfreut sich ihrer.

Dem sittlichen Gebot aus Freude am Guten gehorchen, das ist die wahre Freiheit.

Ist der Glaube da, der «durch die Liebe wirksam» ist, so fängt er an, sich «nach dem inwendigen Menschen am Gesetze Gottes zu erfreuen» (Röm 7,22). Solche Freude ist kein Geschenk des «Buchstabens», sondern des «Geistes», auch wenn «ein anderes Gesetz» in den Gliedern «dem Gesetz des Geistes noch widerstreitet» (Röm 7, 23). Ist die Liebe «durch den Heiligen Geist, der uns gegeben», in deinem Herzen «ausgegossen» (Röm 5,5), so umfängst du Gottes Gesetz in Liebe, und um so reichere Freude wird dir zuteil: Das Gesetz ist dir nicht mehr zum Ärgernis.

Wer aus Liebe dient, dient frei. Hingebend tut er, was ihm aufgetragen – tut nicht mehr in Furcht, was ihm aufgezwungen. Dieser vollkommene Gehorsam «weiss von keinem Gesetz». Das Gesetz der Freiheit ist das Gesetz der Liebe.

Das ist gemeint mit dem «neuen Lied», das wir «singen» sollen «dem Herrn» (Ps 149,1). Der neue Mensch kennt das neue Lied. Singen ist Ausdruck der Fröhlichkeit, genauer betrachtet: der Liebe. Wer also das «neue Leben» zu lieben weiss, weiss auch das «neue Lied» zu singen. Der «neue Mensch» singt dieses «neue Lied» und gehört so zum «Neuen Bund».

Nun ist die Zeit gekommen, dass das Gesetz aus Liebe erfüllt werde, da es von den Juden aus Furcht nicht konnte erfüllt werden. Ein zweifaches Gefühl bezeichnet die Beziehung zu Gott: Liebe und Furcht. Furcht, weil er gerecht ist – Liebe, weil er barmherzig ist, Die Religion fängt an mit Furcht und vollendet sich in der Liebe.

Wohl «begehrt noch das Fleisch wider den Geist» (Gal 5,17); aber wenn du dem inneren Menschen nach Freude hast am Gesetze Gottes und wenn du dich daran gebunden weisst: so bist du frei im Geiste, wenn auch Knecht im Fleische. Und solltest du «tun, was du nicht willst» (vgl. Röm 7,19) – weil du möchtest, dass keine Begierlichkeit in dir sei, und es vergeblich wünschest -: so halte wenigstens deinen Willen in der Gnade des Herrn und halte dich an seine Hilfe! Sage ihm: «Lenke meine Schritte nach Deinem Wort, auf dass die Bosheit in mir nicht herrsche!» (Ps 118, 33). Was bedeutet: «Nicht herrsche»? Es bedeutet nicht, du sollest keine böse Begierde haben – denn wie wäre dies möglich in diesem sterblichen Fleische? – sondern dies ist gemeint: «Es herrsche nicht die Sünde in eurem sterblichen Leibe, seinen Begierden zu gehorchen!» (Röm 6,12). Mögen Begierden sein – versage ihnen den Gehorsam, auf dass die Sünde «nicht herrsche»!

Die erste (irdische) Stufe der Freiheit besteht darin, von schwerer Sünde frei zu sein, z. B. Mord, Ehebruch, Hurerei, Betrug, Gottesraub und dgl. Wenn der Mensch anfängt, davon frei zu sein – jeder Christ soll davon frei sein -, dann fängt er an, das Haupt zur Freiheit zu erheben. Aber das ist erst die beginnende, nicht die vollendete Freiheit: zum Teil bedrückt uns die Schwachheit, zum Teil genießen wir Freiheit. Weil also eine gewisse Schwäche zurückbleibt, darum wage ich zu sagen: soweit wir Gott dienen, sind wir frei; soweit wir dem Gesetz der Sünde dienen, sind wir Knechte.

Darum spricht der Apostel: «Ich habe Freude am Gesetz dem inneren Menschen nach» (Röm 7,22) – siehe, wiefern wir frei sind: sofern wir Freude haben am Gesetze Gottes; Freiheit nämlich bringt Freude. «Aber» – und das ist die zurückbleibende Schwachheit – «ich fühle ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz des Geistes widerstreitet und mich gefangen hält unter dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist»: nach der Seite fühlt er sich noch gefangen, wo die Gerechtigkeit nicht erfüllt ist.

Was bleibt da (als höhere Stufe)? Was anderes, als dass wir auf Jenen hinblicken, der gesagt hat: «Wenn euch der Sohn befreit, dann werdet ihr wahrhaft frei sein!» Zu Ihm hat der Apostel aufgeblickt: «Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich befreien vom Leibe dieses Todes? – Die Gnade Gottes durch Jesus Christus unseren Herrn» (Röm 7,25).

Und wann wird diese volle und vollkommene Freiheit eintreten? – Wenn keine Feindschaft mehr sein wird, wenn auch der letzte Feind, der Tod, vernichtet sein wird, wenn «dieses Sterbliche das Unsterbliche anziehen wird !» (Röm 6,12).
Hienieden aber, da du dem Fleische nach «dem Gesetz der Sünde» dienst, sollst du der Mahnung des Apostels folgen: «Nicht herrsche die Sünde in eurem sterblichen Leibe, um seinen Begierden zu gehorchen !» Die Sünde herrsche nicht: die Herrschaft soll ihr genommen werden! Es besetze die Burg der innere Befehlshaber (Wille), der selbst einem höheren Herrn untersteht, der ihm hilft! Er zügle den Zorn, er halte das Begehren in Schranken! Darum muss jeder, der nach der Höhe strebt, die Begierlichkeit täglich zu mindern trachten.
Du kannst nicht erfüllen, was gesagt ist: «Du sollst nicht begehren !» (Exod 20, 17) – so sollst du das andere erfüllen: «Du sollst deinen Begierden nicht nachgehen !» (Eccli 18, 30).

In diesem Krieg besteht das ganze Leben der Heiligen. Was aber geschieht mit den Unreinen, die überhaupt nicht kämpfen? Sie werden gefangen fortgeschleppt – oder vielmehr nicht geschleppt: sie folgen freiwillig! Für die Heiligen aber, sage ich, heisst es kämpfen – bis zum Tode. Einst führte uns, da wir ihr folgten, die Begierlichkeit des Fleisches; hernach, da wir zu widerstehen anfingen, schleppte sie uns; endlich, da uns die Gnade ward und sie davon lassen muss, uns zu führen, kämpft sie gegen uns. Nach dem Kampfe wird der Sieg sein. Der Sieg über sich selbst ist der Sieg über die Welt.

Hienieden ist kein voller Friede. Hier ist unser Kleid mehr eine Waffenrüstung als Gewand des Friedens. Der Friede, der uns beschieden ist, quillt aus dem Glauben, der uns mit Gott verbindet – in der Ewigkeit wird Schauen uns verbinden. Hier ist es mehr ein Trost im Leid als seliger Genuss. Hier ist die Liebe immer wieder zu erneuern «aus dem Heiligen Geist», von Tag zu Tag – von Menschen, die da wollen, glauben, beten, die Vergangenes vergessen und sich strecken nach dem Kommenden. Hier ist zum Teil Freiheit, zum Teil Knechtschaft, noch nicht ganze, noch nicht reine, noch nicht volle Freiheit, weil noch nicht Ewigkeit. Hier besteht Heiligkeit mehr in Vergebung der Sünden als in Vollkommenheit der Tugend: sie besteht darin, dass Gott die Herrschaft hat über den gehorsamen Menschen und in diesem der Geist über den Leib, die Vernunft über die Begierde; sie besteht darin, dass man von Gottes Gnade Vergebung erfleht für die Sünden und Dank sagt für empfangenes Gute – dort erst wird Gehorsam so süß sein und so leicht, wie Leben und Herrschen selig sind; und im Frieden dieser Seligkeit – in der Seligkeit dieses Friedens – wird das Höchste Gut bestehen.

Dann wird «Fülle der Gerechtigkeit» sein, dann Fülle der Gesundheit, dann Fülle der Liebe: «wenn wir Ihn sehen, wie Er ist» (1Joh 3,2). – Allmählich nur kommt das Neue und allmählich rückt es an die Stelle des Alten. Trifft dein letzter Tag dich nicht als Sieger, so finde er dich wenigstens als Kämpfer, der nicht gefesselt ist und nicht huldigt!

Der ist aufs wahrste und sicherste ein unbesieglicher Mensch, der Gott anhängt, nicht um sich bei Ihm etwas Gutes wie von außen zu verdienen, sondern weil Gott anzuhangen ihm das ausschließliche und einzige Gut ist. Ein reines Herz liebt nur Gott, liebt Ihn ohne Gedanken an Lohn -: es hat ja schon alles in Ihm. Gott will eine unberechnende Verehrung: wir sollen ihn nicht um des Nutzens willen lieben, damit er uns dies und jenes gibt, sondern weil er selbst der Schenkende ist. Gratis, nicht um Lohn, wird Er geliebt – wäre nicht Lohn Er selbst, den man liebt.

Lieben heisst zu etwas um seiner selbst willen Neigung haben. Um so besser ist eine Seele, je mehr sie sich selbst vergisst aus Liebe zum unwandelbaren Gott.

Wenn es einmal nur mehr eine Tugend gibt – Tugend und zugleich Lohn der Tugend -: das nämlich, was der heilige Verfasser, selbst davon ergriffen, sagt: «Mir ist es gut, Gott anzuhangen» (Ps 72,28) – dann wird wahrhaft seliges Leben sein. Großer Reichtum des Herzens, großes Licht dem inneren Auge, großes Vertrauen eines sicheren Gemüts, das sprechen darf: «Siehe, ich weiss, dass Du mein Gott bist !»

Um des Ruhmes willen haben viele Großes getan. Man nannte sie groß in dieser Welt. Man verkündet ihren Ruhm in Staaten und Völkern. Wenn sie Ruhm suchten bei den Menschen, nicht bei Gott, und um dieses Ruhmes willen gleichsam klug, starkmütig, mäßig, gerecht waren – nun, sie erhielten ihren Ruhm und damit ihren Lohn, eitel wie sie selbst.

Im Alten Testament ward irdisches Land zum Lohn verheißen – ein Land, gewiss fließend von Milch und Honig, aber doch – ein Land. Verstehen wir es geistig, so ist ein anderes Land, das «von Milch und Honig fließt» (Exod 13,5), das Land, von dem geschrieben steht: «Meine Hoffnung bist Du, mein Anteil im Lande der Lebendigen» (Ps 141,6). Ihr suchet Milch und Honig? «Kostet und sehet, wie süß der Herr ist!» (Ps 33,9).
Milch und Honig bedeuten Gnade: süß ist sie und heilbringend. Diese Gnade ist vorgebildet im Alten Testament, erschlossen im Neuen Bunde. Das Alte Testament erzeugt zu Knechtschaft: Menschen, die Gott um irdische Güter dienen. Sind solche vorhanden, danken sie; wenn sie fehlen, lästern sie. Die Gott um solches dienen, dienen nicht aus reinem Herzen, schielen hinüber auf jene, die überhaupt nicht dienen – sehen sie das Gleiche besitzen und sagen: «Was habe ich davon, wenn ich Gott diene?» Wer so gesinnt, ist ein Mensch des Alten Testamentes. Wer aber im Neuen Bund Gott dient, darf nicht auf die alte Erbschaft hoffen.

Wie die rechte Erziehung des einzelnen Menschen, so schreitet auch die Erziehung der religiösen Menschheit in gewissen Zeitabschnitten wie nach Altersstufen voran, damit sie es lerne, vom Zeitlichen zum Ewigen, vom Sinnlichen zum Geistigen sich zu erheben. Auch die Sittlichkeit hat ihre Entwicklungsstufen, bis der höchste und vollkommenste Grad erreicht ist. Immerhin war es auch schon in jenen früheren Stufen, da von Gott sichtbarer Lohn verheißen war, auf die Verehrung des einen Gottes abgesehen: auch um der irdischen Gaben des vergänglichen Lebens willen sollte der Mensch sich keinem anderen verschreiben als seinem Schöpfer und Herrn. Ein wundersamer göttlicher Plan war es, dass auch die noch im Irdischen befangene Seele sich daran gewöhne, dieses Lebens wandelbare Güter eben nur vom einen Gotte zu erwarten: auch im irdischen Begehren sollte sie sich Dem zu eigen wissen, zu dem sie schließlich durch Reinigung und inneren Abstand vom Vergänglichen gelangen sollte.

Unsere Liebe, meine Brüder, soll uns frei machen – frei von der Liebe zu irdischen Dingen: Gott soll sie ungehemmt entgegeneilen. Sehet, was Er uns verheißen hat: nicht irdische Schätze, nicht Ehre und Macht dieser Welt, nicht einmal leibliche Gesundheit, langes Leben, äußere Wohlgestalt – das alles hat uns nicht verheißen, der gesagt hat: «Wer an mich glaubt, komme und trinke: Ströme lebendigen Wassers werden von ihm fließen» (Joh 7,38). Ewiges Leben hat Er uns verheißen, darin weder Furcht noch Unruhe noch Trennung noch Tod.

O Mensch, gib die Begierde von dir, trinke die Liebe! Sei geraden Herzens, und du hast immer Freude an Gott! Suche kein anderes Heil als Ihn! Flehe zu Ihm: «Sage meiner Seele: Dein Heil bin ich 1» (Ps 34, 30).

Zeitlichen Lohn sollst du nicht begehren. Es wäre das Zeichen, dass du unter dem Gesetze stehst – und es deshalb nicht erfüllst. Weil Gott dir Gnade (gratia) gab, indem Er umsonst (gratis) gab, so liebe auch du umsonst! Liebe Gott nicht um Lohn: Er selbst sei dein Lohn! Einfältigen Herzens habe Gottes

Reich im Sinne, tue allen Gutes und denke dabei nicht an zeitliche Güter! In Gott und von Gott wirst du alles haben. «Von nun an bist Du mein Anteil immerdar», ist das Wort der liebenden Seele. Mögen andere sich ihre Stücklein auswählen, welche sie wollen – mein Anteil bist Du!

Ich sage euch, Brüder, lernet es doch begreifen an der ehelichen Liebe unter Menschen, was es sei um ein lauteres Herz vor Gott! Gewiss, es sind Ehen unter Menschen. Aber keine Liebe hat zu seinem Weibe, wer sie der Mitgift halber liebt; und nicht lauter ist die Liebe, wenn ein Weib den Gatten darum liebt, weil er ihr kleinere oder größere Geschenke macht. Aber wie viele Männer, die geächtet wurden, haben im Unglück erst recht die Liebe einer selbstlosen, reinen Frau erfahren!
Im Unglück eines Gatten hat sich die Schönheit vieler Ehen erst geoffenbart. Da haben Gatten gezeigt, dass ihre Liebe nur dem Gatten gehöre; sie haben ihn nicht verlassen, sie haben das Band der Treue noch enger geknüpft. – Wenn Mann und Weib sich selbstlos lieben können, wenn sie lautere Liebe haben: mit welcher Liebe ist dann Gott zu lieben, der wahre Gemahl der Seele?

O Mensch, wenn du liebst und das Herz dir bewegt wird in Sehnsucht nach Ihm -: so begehre von Ihm nichts ausser Ihm!
Er allein ist dir genug. Und wärest du noch so sehr ein Mensch des Eigennutzes – Gott ist dir genug.

Je mehr du Gott erkennst und je mehr du Ihn fassest,
um so mehr wächst Er in dir.

Augustinus in: Heiligung

 

 

Glaube und gutes Leben ist Gottes Werk in uns;
denn Er ist es, der unser Wollen wirkt –
es ist freilich auch unser Werk;
denn Gott wirkt es in solchen, die wollen.

Augustinus in: Heiligung

 

 Nur die Liebe bildet die Scheidelinie zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels. Mögen sich alle mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnen, mögen alle das Amen sprechen und das Alleluja singen, mögen alle getauft sein, Kirchen besuchen, Kirchen bauen – durch nichts unterscheiden sich die Kinder Gottes von den Kindern des Teufels als allein durch die Liebe.

Augustinus in: Heiligung

 

Liebe ist eine Art innerer Offenbarung Gottes, die der gottesferne Mensch ganz und gar nicht kennt. Wo nicht Gottesliebe, da herrscht die Begierde. Wo aber die Liebe ist, da nimmt der Vater und der Sohn seine Wohnung.

Augustinus in: Heiligung

 

Dass wir Gott «gleichförmig» werden (Röm 8,29), das geschieht durch die Liebe. Nicht mit leiblichen Schritten kommen wir Gott nahe, sondern durch die Liebe, und um so mehr werden wir seine Gegenwart genießen, je reiner die Liebe, die wir zu Ihm haben und mit der wir nach Ihm streben.

Augustinus in: Heiligung

 

Wer aus Liebe dient, dient frei. Hingebend tut er, was ihm aufgetragen – tut nicht mehr in Furcht, was ihm aufgezwungen. Dieser vollkommene Gehorsam «weiss von keinem Gesetz». Das Gesetz der Freiheit ist das Gesetz der Liebe.

Augustinus in: Heiligung

 

Mögen Begierden sein – versage ihnen den Gehorsam, auf dass die Sünde «nicht herrsche»!

Augustinus in: Heiligung

 

In diesem Krieg besteht das ganze Leben der Heiligen. Was aber geschieht mit den Unreinen, die überhaupt nicht kämpfen? Sie werden gefangen fortgeschleppt – oder vielmehr nicht geschleppt: sie folgen freiwillig! … Der Sieg über sich selbst ist der Sieg über die Welt.

Augustinus in: Heiligung

 

Hier ist zum Teil Freiheit, zum Teil Knechtschaft,
noch nicht ganze, noch nicht reine,
noch nicht volle Freiheit…
Tugend: sie besteht darin, dass Gott die Herrschaft
hat über den gehorsamen Menschen und in diesem der Geist über den Leib, die Vernunft über die Begierde…

Augustinus in: Heiligung

 

Wenn Mann und Weib sich selbstlos lieben können, wenn sie lautere Liebe haben: Mit welcher Liebe ist dann Gott zu lieben, der wahre Gemahl der Seele?

Augustinus in: Heiligung