Augustinus: Vom Gebet

Vom Gebet

Bereitung des Herzens

Ohne die Verborgenheit eines gesammelten Lebens vermag ich die Beseligung des wahren Glückes nicht zu kosten noch zu lieben. Glaube mir, mein Freund, ich brauche einen weiten Abstand vom Tosen des flüchtig verrauschenden Lebens, um nicht einem kalten, trotzigen Wesen zu verfallen, aus einer Härte, die nicht Mut ist, aus leerem Stolz und flachem Sinn.

In der Verborgenheit aber, da kommt jene echte, tiefe Freude über mich, die dem, was man sonst Freude nennt, ganz und gar nicht verglichen werden kann.

Sollte ein solches Leben nicht der Natur des Menschen entsprechen? Woher käme es sonst, dieses heitere Gefühl der Geborgenheit? Warum überkommt es den Menschen um so mehr, je mehr er in der Kammer seines Geistes Gott anbetet? Und warum dauert dann gewöhnlich auch die Seelenruhe an, die dort der Mensch gewonnen, wenn er aus diesem Heiligtum zu den Geschäften seines Alltags schreitet?

Kehre in dein Inneres ein! (spricht Gott zur Seele). Gehe nicht nach aussen – kehre in dich selber ein! Im inneren Menschen, da wohnt die Wahrheit. Und findest du Veränderung in deinem eigenen Wesen: steige über dich selbst hinaus: dorthin, wo das Licht des Geistes sich entzündet, dorthin strecke dich! Hast du Glauben, so findest du Mich dort.

Es ist einer, der erhört: Säume nicht zu flehen! Siehe, der erhört – in deinem Innern wohnt Er! Richte deine Augen nicht auf einen Berg, erhebe dein Angesicht nicht zu den Sternen, nicht zu Sonne und Mond! Glaube nicht, dass du erhört werdest, wenn du über das Meer hin betest. Nein, solches Beten sollst du verabscheuen!
Aber «nahe ist Gott allen, die zerknirschten Herzens sind» (Ps 33,19). Wenn du dich erniedrigst, neigt Gott sich zu dir nieder. Der «Zöllner stand von ferne» (Lk 18,13); um so leichter nahte sich ihm Gott. Nicht einmal die Augen wagte er zum Himmel zu erheben – und schon war bei ihm, der den Himmel schuf. Liebe Ihn, und Er ist nahe bei dir! Liebe Ihn, und Er wohnt in dir!

Im Verborgenen der vernünftigen Seele drinnen, im inneren Menschen, da musst du Gott suchen und erflehen: Hier wollte Er seine Wohnung nehmen. In deinem Herzen spricht Er zu dir. Menschen rufen, Er aber unterweiset in der Stille. Menschen sprechen in Worten, die tönen; Er aber in Gedanken voll geheimen Schauers. Wie Pfeile sind seine Worte; nicht Schmerzen reissen sie auf, sondern Liebe entzünden sie.

In der Menge ist es schwer, Christus zu sehen; eine gewisse Einsamkeit in unserem Geist ist nötig; in einer Art verborgener Schauung sieht man Ihn. Der große Haufe hindert, Jesum zu sehen.

Eine innere Einsamkeit ist das Gewissen, eine tiefe Einsamkeit, darein keines Menschen Fuß noch Auge dringt. Darin lasst uns gläubig wohnen!

Auf mancherlei Weise redet zu uns Gott. Das eine Mal spricht Er durch Gebilde von Menschenhand, z. B. durch das Buch der heiligen Schriften; ein andermal spricht Er durch ein Zeichen in der Schöpfung, wie der Stern zu den Weisen redete. Er redet durch das Los wie bei Matthias, da er sollte gewählt werden an Stelle des Verräters; oder spricht durch eines Menschen Geist, wie Er sprach durch die Propheten; oder spricht durch Engel, wie wir wissen, dass Er zu Patriarchen und Propheten und Aposteln redete. Er spricht durch Stimme oder Töne Seiner Kreaturen, wie wir lesen, dass Stimmen vom Himmel ertönten, wo niemand etwas sah – und schließlich redet Gott zum Menschengeist, nicht äußerlich durch Ohr und Auge, sondern innerlich im Herzen, redet auf mancherlei Weisen: in Traumgesichten wie zu Laban und Pharao; in Entrückung des Geistes, mit dem griechischen Wort Ekstase genannt, wie zu Petrus im Gebete, da ihm die große Zahl der Gläubigen aus der Heidenwelt im Gleichnisbild vom Himmel offenbart ward – und schließlich spricht Er ohne jedes Mittel, rein im Geiste, wenn dem Menschen Gottes Majestät und Wille aufgeht. Denn solches wird dem Menschen nur zuteil, indem ihm innerlich gleichsam der Wahrheit heimlich Rufen tönt.

Überall ruft Gott zur Heiligung, überall ruft Er zur Buße: ruft durch irdische Wohltat, ruft durch Verlängerung der Lebensfrist, ruft durch Lesung, ruft durch Predigt, ruft durch den heimlichsten Gedanken, ruft durch scharfes Tadelwort, ruft durch himmlischen Trost: «langmütig und voll Erbarmen» (Ps 102, 8).
Nicht durch Worte, nicht durch Buchstaben, nicht so pflegt zu reden die Wahrheit; aufgeschlossenen Herzen redet sie im Innern, belehrt ohne Schall, erleuchtet mit dem Licht des Geistes – nicht durch tönendes Gesetz und Lehre: durch eine innere, verborgene, wunderbare, unaussprechliche Macht wirkt Gott in Menschenherzen – wirkt nicht nur wahre Offenbarungen, sondern auch den guten Willen.

Schweigen und Reden

Das Gebet ist ein Rufen des Herzens, nicht etwa der Stimme oder der Lippen. Im Innern ertönt es – Gott hört es.

Durch Glaube, Hoffnung, Liebe beten wir in immerwährender Sehnsucht. Zu gewissen Zeiten und Stunden aber beten wir auch in Worten, auf dass unsere Sehnsucht um so kräftiger sei.
Da sollen wir das Gemüt von anderen Sorgen und Geschäften, die die Sehnsucht nach dem Himmlischen, wenn ich so sagen soll, erkühlten, zu dem einen Geschäfte des Gebets zurücklenken. Die Worte des Gebets sollen uns aufwecken, dass wir uns das Ziel unseres Strebens vor Augen halten; sonst könnte gar erkalten, was schon lau zu werden angefangen, und könnte vollends erlöschen, was wir öfter hätten anfachen sollen.

Es ist somit keineswegs tadelnswert oder nutzlos, wenn man selbst viele Zeit auf das Gebet verwendet, sofern nicht andere pflichtmäßige Arbeiten dabei zu kurz kommen – obschon man auch bei der Arbeit «allzeit beten» soll; durch inniges Verlangen nach dem ewigen Leben.

Es heisst ja nicht «viele Worte machen», wie manche meinen, wenn man etwas länger betet. Etwas anderes ist viele Worte machen, etwas anderes ist stete Andacht. Vom Herrn selbst steht geschrieben, dass Er des Nachts im Gebet zugebracht und mit besonderer Innigkeit gebetet habe.

Freilich, viel reden im Gebet heisst das Notwendige überflüssig erörtern; viel beten aber heisst durch anhaltend frommes Gemüt anklopfen bei Dem, zu dem wir beten. Dies geschieht mehr mit Seufzern als mit Reden, mehr mit Tränen als mit Worten.
Der Herr will nicht, dass wir beim Gebet viele Worte machen: «Euer Vater weiss schon, wessen ihr bedürft» (Mt 6,8); Er will dein Gebet nur, um auf dein Verlangen hin zu geben, was Er gibt, auf dass es dir nicht gleichgültig sei. Das Verlangen ist Ihm wohlgefällig. Je inniger die Sehnsucht, desto reichlicher die Erfüllung.

Von den Brüdern in Ägypten (d. i. den Mönchen) heisst es, sie beteten zwar häufig, aber immer kurz, gleichsam in raschen Pfeilen, damit der Bogen des Gemütes durch langes Anziehen nicht erschlaffe. Sie zeigen uns dadurch, dass man die Andacht des Herzens ebensowenig ausleiern soll, wenn sie nicht dauern kann, als man sie jählings abbrechen soll, so lange sie dauert.
Ferne sei vom Gebet das Plappern, aber es fehle nicht an häufigen Bitten, wenn die Glut der Andacht fortwirkt! Bete also so kurz und so vollkommen als möglich!

Die Sehnsucht betet stets, auch wenn die Zunge schweigt. Hast du immer Verlangen, so betest du immer. Bleibt in dir die Liebe, so betest du immer, hast immer Sehnsucht.

Wie viele rufen mit ihrer Stimme, sind aber stumm im Herzen – aber auch, wie viele schweigen mit den Lippen, rufen hingegen in heiliger Andacht, und Gott hört sie. Viel Liebe, nicht viele Worte, wenn du betest!

Güte, Liebe, frommer Sinn, Herzensunschuld, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung – sind Dinge, die du immer haben musst: im öffentlichen Leben, in der Stille, unter Menschen wie für dich zuhause, im Gespräch, im Schweigen, in der Arbeit, in der Ruhe: immer musst du solches bewahren – und alles dies ist innen.

Ein Lobgesang ist dein Gebet – aber verdirb nicht den Gesang durch schlechtes Leben! «Singet dem Herrn», singet ihm ein «Neues Lied» (Ps 149,1) – aber dem Bekenntnis der Zunge widerspreche nicht das Leben! Singet mit dem Herzen, singet mit dem Munde, singet auch mit den Sitten! Ihr sollt auch selber sein, was ihr singt: ihr selbst Gottes Lob, indem ihr heilig lebt.

Bettler Gottes

Wir alle, wenn wir beten, sind Bettler Gottes. Wir stehen vor der Türe des großen Hausvaters, um etwas zu empfangen. Dieses Etwas ist – Gott selbst.

Es liegt dem Menschen nahe, vom Herrn allerlei Weltliches zu verlangen, statt Ihn selbst – gleich als könne, was Er gibt, beglückender sein als der Geber selbst. Frage einen Reichen: Du rufst Gott an – warum? – «Damit Er mir Gewinn verschaffe».
Also nicht Gott, sondern den Gewinn rufst du an! Was du liebst, das rufst du an! Rufst du Gott an, damit du zu Geld, Erbschaft, zeitlicher Würde gelangst, so rufst du solche Dinge an. Weil du sie nicht haben kannst durch deinen Knecht, deinen Wirtschafter, deine Angestellten, Freunde, Helfer: deshalb rufst du Gott an -: du machst Gott zum Handlanger des Gewinnes; an Ihm selber liegt dir wenig!

Güte des Herrn ist es, wenn Er uns oftmals nicht gibt, was wir wollen, damit uns zuteil werde, was wir wollen sollten. Sind doch viele elender geworden, indem sie erhielten, was sie wünschten, als da sie es vermissten. Nach ihrem Wunsch wurden auch die Teufel erhört; es wurde ihnen gewährt, was sie erflehten: in die Schweine zu fahren (Mt 8,28 ff.). Nach seinem Wunsch ward auch der Fürst der Teufel erhört; er bat, Job versuchen zu dürfen, und es wurde ihm nicht abgeschlagen (Job1-2).
Nach ihrem Wunsch wurden die Juden erhört; als sie noch Speise im Munde hatten – du weisst, was da geschah (Num 11,33). Gott gibt vielleicht im Zorn, was du erbittest, oder versagt dir aus Güte, was du möchtest.

Zweierlei Güter sind: zeitliche und ewige. Zu den zeitlichen gehört Gesundheit, Vermögen, Ehre, Freunde, Haus, Gattin, Kinder – sowie alles andere, was wir auf unserer Pilgerschaft durchs Leben treffen. Zu den ewigen Gütern zählen: vor allem das ewige Leben selbst; sodann die Verklärung des Leibes, die Gemeinschaft mit den Engeln, die Bürgerschaft des Himmels.
Nach ewigen Gütern lasst uns mit ganzer Innigkeit verlangen! Ewiges lasst uns suchen mit aller Kraft! Um Ewiges lasst uns zuversichtlich bitten! Ewige Güter können nur nützen, nicht schaden; diese zeitlichen Güter nützen manchmal, manchmal schaden sie. Manchem schadet Armut, manchem Reichtum.
Manchem frommt zurückgezogenes Leben und schaden hohe Ehren; anderen hingegen gereicht Ehre und Vermögen zum Guten. Wer guten Gebrauch davon macht, hat Nutzen davon; wer schlechten Gebrauch davon macht, hat vielmehr Schaden vom Besitz. Wir mögen also wohl um zeitliche Güter bitten, doch mit Maß: in der Überzeugung, dass, wenn wir sie erhalten, jener sie verleiht, der weiss, was uns gut ist.

«Wenn ihr in Mir bleibt und Meine Worte in euch bleiben, möget ihr bitten, um was immer ihr wollt, und es wird euch gegeben werden» (Joh 15,7). Wenn wir nämlich in Christus bleiben, was könnten wir da wollen, ausser was zu Christus passt? Was könnten wir wollen, wenn wir in Ihm bleiben, ausser was zu unserem Heil gehört?

Sein Wort aber «bleibt» in jenem Gebet, das Er uns lehrte, da wir sprechen: «Vater Unser, der Du bist im Himmel … .» Von den Worten und dem Geiste dieses Gebetes wollen wir uns in unserem Beten nicht entfernen, und alles, worum wir bitten, wird uns zuteil werden. Es steht uns frei, um das Gleiche mit anderen Worten zu bitten; um etwas anderes aber, als zu diesem Gebet gehört, sollen wir nicht bitten. Wenn also jemand z.B. im Gebete spräche: «Herr, mehre meinen Reichtum!» oder: «Mach mich ebenso wohlhabend wie den und den!» oder: «Herr, lass mich Ehre, Einfluss, Ruhm gewinnen!» u. dgl. – und wenn er solches spräche in selbstsüchtiger Begierde, nicht um nach Gottes Wohlgefallen dadurch den Menschen nützlich zu sein: ein solcher würde im Vater Unser schwerlich etwas finden, was zu seinen Wünschen passte. Er müsste sich also schämen, um solches zu bitten – wenn er schon sich nicht schämt, danach zu verlangen.

Vielleicht möchtest du auch wissen, warum der Apostel sagt: «Um was wir beten sollen, wie es sein soll, wissen wir nicht» (Röm 8,26). Ich denke so: Zeitliche Trübsal und Leiden sind uns zumeist nützlich, sei es um die Geschwulst des Stolzes zu heilen, sei es uns in der Geduld zu prüfen oder irgendwelche Sünden zu züchtigen und zu tilgen. Wir aber, die nicht wissen, wozu uns solches gut ist, möchten gern von allen Leiden erlöst sein. Von dieser Unwissenheit war nicht einmal der Apostel frei: damit ihn «die Größe der Offenbarungen nicht überhebe», ward ihm «ein Stachel des Fleisches» gegeben, «der Engel Satans», dass er ihn schlage. Dreimal bat er den Herrn, er möchte ihn befreien – er wusste nicht, um was man beten müsse, um recht zu beten. Endlich vernahm er, warum ihm nicht nach seinem Wunsch geschah: «Dir genügt meine Gnade! Denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet» (2 Kor 12,9). Bei solchen Heimsuchungen also, die sowohl nützen wie schaden können, «wissen wir nicht, um was wir bitten sollen, wie es sein soll», und möchten doch, weil solche Dinge hart und beschwerlich sind, gemäß der natürlichen Schwäche unseres Willens davon gelöst werden. Aber soviel Ergebung schulden wir Gott dem Herrn, dass wir nicht meinen, von Ihm vernachlässigt zu sein, wenn Er uns nicht nach Willen tut. Wir sollen dann vielmehr in heiliger Geduld den Sinn zu Höherem lenken, auf dass «die Kraft in der Schwachheit sich vollende» (2 Kor 12,9).

Darum bitte ich euch, meine Brüder, und ermahne euch im Herrn, verlangt in zeitlicher Hinsicht nie etwas Bestimmtes, vielmehr dasjenige, wovon Gott weiss, dass es uns frommt! Ihr wisst ganz und gar nicht, was euch gut ist.

Was bedeutet wohl das Wort des Herrn an seine Jünger: «Bisher habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten»? (Joh 16,24). Die Jünger des Herrn waren unter dem Gesetz noch der Reinigung bedürftig, sie brauchten noch geistige Speise, Erziehung, Führung. Ich möchte diesen heiligen Schäflein Christi, den ersten seiner Herde, nicht zu nahe treten; doch ich sage nur die Wahrheit – das Evangelium sagt sie selbst: «Es entstand ein Zank unter ihnen, wer von ihnen der Größte sei» (Lk 22,24). Und so sagten sie auch bei der Rückkehr von der ersten Aussendung: Herr, auch die bösen Geister sind uns in deinem Namen untertan !» (Lk 10,17). Sie freuten sich noch über ein Nichts! Denn was war dies an Inhalt und Größe gegenüber der Verheissung Gottes? Deshalb sprach der gute Meister zu ihnen: «Nicht darüber freuet euch, dass euch die Geister untertan sind, sondern freuet euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.» Und so versteht sich: Bisher habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Denn um was ihr bisher gebetet habt, das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich euch geben will. Wäre es etwas, so würde er ihre Freude bejahen, aber im Verhältnis zur Größe der himmlischen Werte war es zu klein.

Dies will ich euch zu Gemüte führen – auch mir, denn ich sage es mir wie euch -, wenn wir im Namen Jesu um zeitliche Dinge beten. Ihr habt ja sicher schon darum gebetet, denn wer tut es nicht? Der eine betet um Gesundheit, wenn er krank ist, der andere um Befreiung im Gefängnis, der andere um den rettenden Hafen, der andere um Sieg im Kampf mit dem Feinde – «im Namen Jesu» beten sie um all das – und es ist nichts, um was sie beten. Um was also soll man beten? «Betet in meinem Namen!» Er sagt nicht ausdrücklich, um was, aber wir verstehen aus seinen Worten, was unser Anliegen beim Beten sein soll. «Bittet, und ihr werdet empfangen, und eure Freude wird vollkommen sein» (Joh 16, 24). Was werdet ihr empfangen? Ein Nichts? «Eure Freude wird vollkommen sein». Er will sagen: ihr sollt volles Genüge finden, nicht Befriedigung für eine Weile. Betet um das, was euch genügen kann! Sagt mit Philippus: «Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns!» (Joh 14,8).

Unsere Liebe soll uns frei machen von der Liebe zu dieser Welt, um ungehemmt zu Gott zu eilen. Hier werden wir geboren und sterben; dies sollen wir nicht lieben: wir sollen auswandern in der Liebe, um in der Liebe droben zu wohnen, in jener Liebe, die sich klammert an Gott. Nicht irdische, vergängliche Schätze, nicht Ehre und Macht der Welt (dies alles wird auch den Bösen gegeben, damit es bei den Guten nicht als etwas Großes gelte), auch nicht leibliches Wohlsein (nicht weil es nicht von Ihm gegeben wäre, sondern weil es auch dem Tier gegeben ist), nicht langes Leben (denn was ist lang, wenn es doch einmal endet?), nicht leibliche Schönheit (die Alter oder Krankheit hinwegnimmt) – das alles hat Gott nicht verheissen.

Größer ist, was Er uns geben will, überaus groß. «Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat. die Ihn lieben» (1 Kor 2,9). Dieses Große werden wir um so mehr umfassen, je hingebender wir es glauben, je fester wir es hoffen, je inniger wir uns danach sehnen.

Gottesnähe

Ist die Seele einmal zu jenem Glauben gelangt, der «durch die Liebe wirksam ist», so strebt sie auch, durch rechten Wandel zu jenem Schauen zu gelangen, worin das Leben der vollkommenen Heiligen seine unaussprechliche Schönheit findet: wo der Blick in steter Heiterkeit auf das gerichtet ist, was da geschaut werden soll.

In dem Maße gelangt man zum Schauen Gottes, als man der Welt abstirbt. Soweit man dieser Welt lebt, sieht man nicht Gott. «Das Licht leuchtet in die Finsternis.» Dem von der Sinneswelt befangenen und geschwächten Geistesauge wird die Erleuchtung von oben, dass es Größeres gibt als der allen gemeine Augenschein, ein geistiges Schauen und Verstehen, das sich auf etwas Höheres richtet, als das Sichtbare vermittelt. Dann freue ich mich zunächst und bitte um Gottes Hilfe. Und wenn ich mich mählich mehr und mehr zu Ihm, der die Quelle aller Wahrheit ist, erhebe, erfüllt mich zuweilen ein solcher Vorgeschmack des Ewigen, dass es mich wundert, noch auf das Denken angewiesen zu sein, um zu glauben an das, was offenbar so gegenwärtig ist wie jeder sich selbst.

In der Einsamkeit entspringen Quellen des Geistes. Himmlische Wasser sprudeln im Herzen des Menschen, der mit Gottes Wort vertraut ist. Du hast gelesen, hast gelauscht; rein und klar und frommen Sinnes hast du’s aufgenommen in deinem Herzen. In der Verborgenheit des Geistes, im guten Gewissen, da ist heilige Ruhe… Nun erhebt sich leise die Erinnerung in deiner Seele, Erinnerung an Gottes Wort, so wie Quellen rieseln, so wie Bächlein kräftig fließen. Da magst du wohl mit deinen Brüdern ruhen, süßer Hoffnung voll: «Wahrlich, mir ist gut; hier ist meine Hoffnung, hier ist die Verheissung Gottes. Er lügt nicht, ich bin des gewiss.»

Du klagst, mein Freund, weil du einsam bist, auch den Freunden fern, mit denen das Leben noch am liebenswertesten wäre. Was kann ich dir darauf sagen? Du sagst es dir sicher schon selbst. Kehre in dein Inneres ein und erhebe dein Gemüt nach  Kräften zu Gott! Dort findest du dann auch die Freunde. Du findest sie ganz gewiss, nicht zwar in der sinnenhaften Vorstellung, deren wir noch zur Erinnerung benötigen, sondern kraft der Erkenntnis des Geistes, dass unsere Gemeinschaft in Ihm unabhängig vom Raume besteht.

Es bedarf einer inneren Entfernung vom Geräusch des Vergänglichen, um jene echte Freude zu finden, die sich mit keiner andern Freude auch nur annähernd vergleichen lässt.

Gleich einem Schlummer an Wasserbächen ist diese selige Geborgenheit. Welche Wonne und welch tiefer Genuss des höchsten, wahren Gutes sich einem solchen darbietet, welche Heiterkeit, welch wundersamer Hauch der Ewigkeit – wie soll man das beschreiben? Da werden wir erkennen, wie wahr das ist, was wir zunächst zu glauben geheißen wurden, wie gut und heilsam die Erziehung ist bei unserer Mutter, der Kirche, und wie köstlich jene «Milch», die der Apostel Paulus den «Kleinen» zum Tranke reichte (1 Kor 3,2). Aus der süßen Betrachtung der Wahrheit wird das Herz so rein und der Glaube so fest, dass dagegen völlig verblasst, was man bisher zu wissen meinte, und dass der Tod, den man bisher fürchtete, nur als ein höheres Gut erscheint, da er uns löst vom sterblichen Leibe.

Diese Freude des menschlichen Herzens über das Licht der Wahrheit, über den Reichtum der Weisheit, diese Freude eines menschlichen, edlen, reinen Herzens – o, keine Lust der Sinne ist, die damit irgendwie verglichen werden könnte! Sie ist von ganz anderer Gattung, ein ganz anderes. Was war die Freude der Maria, was aß und trank sie mit der heissen Inbrunst ihres Herzens? – Heilige Wahrheit. An der Wahrheit freute sie sich, der Wahrheit lauschte sie, der Wahrheit öffnete sie den Mund, nach der Wahrheit seufzte sie, an der Wahrheit sättigte sie ihren Hunger und Durst, und sie wurde erquickt, ohne dass, was sie genoss, vermindert wurde!

Einst, da wir (Augustinus’ Mutter und er selbst) zusammen redeten und Verlangen trugen (nach der Schau der ewigen Wahrheit), siehe, da berührten wir sie leise in einem Augenblick der höchsten inneren Erhebung. Und wir seufzten auf und ließen «die Erstlinge des Geistes» (Röm 8,23) dort gefesselt, um wieder zurückzukehren zu der Erde, zu Worten, die Anfang und Ende haben. – Zeitweilen nur, o Gott, versetzest Du mich in meinem Innern in solchen Zustand aussergewöhnlicher Art, bis zu unfassbarer Seligkeit, die, wenn sie zur Vollendung käme, etwas ganz Unbeschreibliches wäre, alles Leben hinter sich lassend; zeitweilen nur – dann falle ich unter dem Gewicht der Alltagsmühen wieder zurück in dieses irdische Dasein; der gewohnte Tag verschlingt mich wieder; ich bin gebunden.

Meine Tränen stürzen, aber die Bande sind zu fest gezogen. So furchtbar drückt uns nieder die Last des Gewohnten! Hier muss ich sein und will es nicht; dort möchte ich sein und kann es nicht – elend dort und hier -, und doch bist Du, mein Gott, das Leben der Seele, das Leben des Lebens – Dich selbst lebend ohne Wandel, Leben meiner Seele!

Hielte jener Zustand an und würden alle irdischen Bilder schwinden und nur das große Eine den Verzückten hinreissen und in sich hineinziehen und in des Herzens Wonne sich ihm einigen – im Gleichnis ewigen Lebens -: wäre dieses nicht der Augenblick, von dem geschrieben steht: «Gehe ein in die Freude deines Herrn !?» (Mt 25,21). Ein wenig Gott berühren mit dem Herzen, ist schon große Seligkeit; Ihn fassen aber – ganz unmöglich. Wie sollte das Auge des Herzens Gott begreifen? Genug, dass es Ihn berührt, wenn es rein ist. Wer Ihn berührt, berührt Ihn gleichsam übersinnlich, geistig – aber fasst Ihn nicht; und auch das nur, wenn er rein ist. Selig der Mensch, der im Herzen Den berührt, der immer selig bleibt: weil Er selber ist die ewige Seligkeit, wovon der Mensch sein Leben hat – weil Er selber ist die ewige Weisheit, wovon der Mensch weise wird – die vollkommene Weisheit, wovon der Mensch erleuchtet wird: das «Ewige Licht».

Jedoch, auch wenn der Glanz jenes Lichtes um vieles deutlicher wäre und zugleich milder und süßer – es bleibt ein Schauen «wie in Rätsel und durch Spiegel» (1 Kor 13,12). Denn solange wir hienieden pilgern, wandeln wir mehr im Glauben als im Schauen – auch solche, deren «Wandel im Himmel» ist (Phil 3,20).

Etwas zwar empfangen schon hienieden, die da «hungern und dürsten nach Gerechtigkeit» (Mt 5,6); aber ein anderes ist die Erquickung der Pilger, ein anderes die Sättigung der Seligen; ein anderes der Trost der Gefangenen, ein anderes die Wonne der Befreiten. Am Tau ward die Sehnsucht geregt, an der Quelle sollst du gesättigt werden.

Jetzt sollen wir seufzen und bitten. Es seufzen die Beladenen, es bitten die Bedürftigen. Das Gebet geht vorüber, es folgt das Lob; das Seufzen geht vorüber, es folgt die Freude. Jetzt ist die Zeit des Hoffens, Bruder: hoffe hier, damit dir drüben Erfüllung werde!

Kehre in dein Inneres ein! (spricht Gott zur Seele).
Gehe nicht nach aussen – kehre in dich selber ein!
Im inneren Menschen, da wohnt die Wahrheit.

Augustinus in: Vom Gebet

Es ist einer, der erhört: Säume nicht zu flehen!
Siehe, der erhört – in deinem Innern wohnt Er!

Augustinus in: Vom Gebet

 

Aber «nahe ist Gott allen, die zerknirschten Herzens sind» (Ps 33,19). Wenn du dich erniedrigst,
neigt Gott sich zu dir nieder.

Augustinus in: Vom Gebet

 

Liebe Ihn, und Er ist nahe bei dir!
Liebe Ihn, und Er wohnt in dir!
Hier wollte Er seine Wohnung nehmen.
In deinem Herzen spricht Er zu dir.
Menschen rufen, Er aber unterweiset in der Stille.

Augustinus in: Vom Gebet

 

Auf mancherlei Weise redet zu uns Gott.
Das eine Mal spricht Er durch Gebilde von Menschenhand, z. B. durch das Buch der heiligen Schriften; ein andermal spricht Er durch ein Zeichen in der Schöpfung, wie der Stern zu den Weisen redete.
Er redet durch das Los wie bei Matthias, da er sollte gewählt werden an Stelle des Verräters; oder spricht durch eines Menschen Geist, wie Er sprach durch die Propheten; oder spricht durch Engel, wie wir wissen, dass Er zu Patriarchen und Propheten und Aposteln redete.
Er spricht durch Stimme oder Töne Seiner Kreaturen, wie wir lesen, dass Stimmen vom Himmel ertönten, wo niemand etwas sah – und schließlich redet Gott zum Menschengeist, nicht äußerlich durch Ohr und Auge, sondern innerlich im Herzen, redet auf mancherlei Weisen…

Augustinus in: Vom Gebet

 

Das Gebet ist ein Rufen des Herzens,
nicht etwa der Stimme oder der Lippen.
Im Innern ertönt es – Gott hört es.

Augustinus in: Vom Gebet

Zeitliche Trübsal und Leiden sind uns zumeist nützlich,
sei es um die Geschwulst des Stolzes zu heilen,
sei es uns in der Geduld zu prüfen oder irgendwelche Sünden zu züchtigen und zu tilgen.
Wir aber, die nicht wissen, wozu uns solches gut ist, möchten gern von allen Leiden erlöst sein.

Augustinus in: Vom Gebet

 

Bittet, und ihr werdet empfangen,
und eure Freude wird vollkommen sein» (Joh 16, 24).
Was werdet ihr empfangen?
Ein Nichts? «Eure Freude wird vollkommen sein».

Augustinus in: Vom Gebet

 

Ein wenig Gott berühren mit dem Herzen,
ist schon große Seligkeit;
Ihn fassen aber – ganz unmöglich.
Wie sollte das Auge des Herzens Gott begreifen?
Genug, dass es Ihn berührt, wenn es rein ist.

Augustinus in: Vom Gebet